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Wallraf vertrat das Image des opferbereiten Bürgers übrigens sogar selbst öffentlich. Das wird anhand der Worte deutlich, die er zum Dank für die ihm ausgerichtete Jubelfeier am 29. Juli 1823 in der Kölnischen Zeitung veröffentlichte. Sie enthalten alle „typischen“ Bestandteile der Assoziationen mit dem ‚Erzbürger‘: Die Aufopferung, die Teilnahme der ganzen Stadtbevölkerung und den Wunsch nach einer Fortsetzung der Arbeit für Köln: „Allen Theilnehmern an der von meinen geliebten Mitbürgern jeden Ranges mir am Sonntage den 20. Juli so freimüthig veranstalteten Feier meines Jubeltages statte ich hiermit meinen wärmsten, aufrichtigsten Dank ab. – Möchte mir vergönnt seyn, in demselben Maße, womit meine Vaterstadt bei dieser Gelegenheit ihr Wohlwollen gegen meine Person aussprach, zur Erweiterung ihres Ruhmes und zur Anerkennung ihrer alten Würde beitragen zu können, so würde, meine mit manchen Aufopferungen verknüpfte Laufbahn mit jugendlicher Kraft von neuem zu beginnen, mein aufrichtigster, innigster Wunsch seyn.“[3]
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Wallrafs Selbstbild war also auch schon in dieser Richtung ausgeprägt – die Nachwelt hat diese Charakterisierung in komplementärer Weise unermüdlich bestätigt. Ein Beispiel liefert wieder Wilhelm Smets, wie zwei Zitate illustrieren können: „Dazu bestrebte sich Wallraf, bei Anpreisung des Neuen das würdige Eigenthümliche der Vaterstadt seinen Mitbürgern kräftig und gedeihlich vorzuhalten.“[4] Wenig später heißt es in zeitgenössisch national-preußisch gefärbter Rhetorik: „Bei jeder Gelegenheit war Wallraf darauf bedacht, für das politische Interesse seiner Vaterstadt zu sorgen, die historische und wissenschaftliche Wichtigkeit derselben darzustellen und zu heben; was auch späterhin, als diese Länder dem deutschen Vaterlande wiedergegeben wurden, sein unausgesetztes Bestreben blieb.“[5] Interessant ist, dass Smets bei aller Lobhudelei für Wallrafs Errungenschaften und Aktivitäten auch einige kritische Töne anklingen lässt – manchmal sei Wallraf durch die Köln-Fixiertheit der neutrale Wertmaßstab zu sehr verrutscht.[6] Der Reiseführer von 1828 entschuldigt dies kategorisch: „Dass übrigens Wallraf nur an Köln und seinen Alterthümern Antheil nahm, dass ihn die zu grosse Liebe für seine Vaterstadt wohl mitunter einseitig und unbillig machte, findet darin Entschuldigung, dass er eben für diese seine Vaterstadt Köln so einflussreich gewirkt hat.“[7]
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Leonard Ennen nimmt den Ball zu gern auf und spiegelt diese Einschätzung in deutlichen Worten. Ihm zufolge blieb Wallrafs „ganze Begeisterung einzig und allein seiner Vaterstadt gewidmet. Der Ruhm, die Ehre, der Glanz, der Reichthum, der Vorrang der Stadt Köln galt ihm Alles. Keine Mühe war ihm zu groß, keine Arbeit zu schwer, kein Unternehmen zu verdrießlich, kein Opfer zu drückend, um das Ansehen und den Vortheil seines lieben Köln zu fördern.“ Ennen sieht die Hinwendung Wallrafs zur Geschichte Kölns in einem strategischen Bedürfnis seiner Gegenwart begründet: „Die Gegenwart bot gar wenig, worauf die Stadt, wie jeder Bürger, mit Recht stolz sein konnte. [...] Weil die Gegenwart so wenig Ruhmvolles bot, darum wies er auf den Glanz der Vergangenheit hin. Das Ansehen, welches er dem gegenwärtigen Zustande seiner Vaterstadt nicht zu vindiciren vermochte, suchte er in ihren früheren, blühenden Tagen. An Kölns ehemalige Größe klammerte er sich an, um den Patriotismus seiner Mitbürger rege zu halten und ihren Stolz nicht sinken zu lassen. Eine große Vergangenheit wollte er herausbeschwören, um die Mängel der Gegenwart zu verdecken und die Hoffnung auf die Wiedergeburt einer glorreichen Zukunft anzuregen.“[8] An anderen Zitaten aus Ennens Werk lässt sich zeigen, dass die patriotische Auffassung von Wallrafs Rolle durchaus auch für eine nationalistische Vereinnahmung mit feindseliger, antifranzösischer Ausrichtung genutzt werden konnte – Wallraf habe, so Ennen, auch ohne Begriff eines deutschen Vaterlands[9] „mit seiner warmen Liebe für das scharf markierte Kölnerthum“ den Kampf gegen französische Einflüsse aufgenommen und „auf vaterstädtischer Grundlage ein national-kölnisches Leben“ angeregt.[10] Es ist offensichtlich, dass Ennen hier seine eigene national gefärbte Sichtweise auf Wallrafs Perspektive projiziert, doch sollte dieser Zug seiner Rezeption hier nicht verschwiegen werden.
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Liebe deine Stadt! So lässt sich dieses Image des Wallraf‘schen Lebensmottos wohl treffend zusammenfassen. Das finden wir bis heute in Köln verankert: Der ikonische Schriftzug, der im Herbst 2023 nach zweieinhalbjähriger Pause wieder an der Nord-Süd-Fahrt angebracht wurde,[11] ist vielen Kölner*innen ein vertrautes Bild. Man kann Liebe deine Stadt aber noch kölscher formulieren, auch das ist allen in der Stadt und außerhalb bekannt: Kölle alaaf! Es passt nur zu gut, dass Wilhelm Smets an mehreren Stellen in seiner Biografie Wallraf diesen Hochruf in den Mund legt. Dies geschieht einmal im Zuge der Darstellung der Jubelfeier: „Da brach der allgemeine Jubel los, Alles rief, klatschte in die Hände, und der edele Greis streckte die offenen Arme nach Allen aus und rief mit gebrochener, von Thränen erstickter Stimme: Alaf Köln“[12]. Smets erläutert die kölsche Wendung in einer Fußnote: „Ein altlandschaftlicher Ausruf für: Es lebe Köln!“[13] Ein weiteres Mal erwähnt Smets den Hochruf in einer wahrhaft existenziellen Situation für Wallraf: Smets lässt die Wendung „Alaaf Köln!“ die letzten überlieferten Worte Wallrafs sein[14] – was dieser Formel natürlich ein ganz besonderes schweres Gewicht verleiht. Besonders interessant dabei ist, nebenbei bemerkt, dass Wallraf selbst eine entscheidende Rolle in der Etablierung des bereits überlieferten Hochrufs Kölle Alaaf zugeschrieben wird – Josef Kuhl nennt ihn 1905 sogar den „geistige[n] Vater dieses Kölner Wahrzeichens“.[15]
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Wie äußerte sich dieses Motto ‚Alaaf Köln‘ konkret? Nun, man könnte Wallraf, wenn man so will, als eine Art ‚Influencer‘ Kölns um 1800 verstehen. Ihm ging es darum, für seine Sache – also Köln – viel mediale Aufmerksamkeit zu generieren und darüber Einfluss auf die Prozesse seiner Zeit zu nehmen. Man denke hierbei zum Beispiel an die vielen Denkschriften und schriftlichen Interventionen, die Wallraf in Köln veröffentlichte und mit denen er sich in die Konflikte und Problemstellungen einmischte, die die herausfordernden politischen und kulturellen Entwicklungen in Köln mit sich brachten. Einige seien hier erwähnt, nämlich die Denkschrift für eine stärker allgemeinbildende Studienreform 1786, die Verbindung der Fächer Botanik/Naturgeschichte und Ästhetik ab 1788, die Wallraf mit einer programmatischen Antrittsvorlesung einführte,[16] die taktische politische Schrift Der Senat der Ubier an den Nationalkonvent in Paris, die lange Denkschrift über die Verluste, welche die freie Reichsstadt Köln durch die Franzosen erlitten oder schließlich die Bemühungen um die Wiederherstellung der Kölner Universität, die – wie sollte es anders sein – wieder mit einer ausführlichen Denkschrift einhergingen.[17] In verschiedenen Aufsätzen arbeitete Wallraf zu stadthistorischen Themen, vor allem zur Antike, so zum Beispiel in einer eigenen Biografie der römischen Stadtgründerin Agrippina, deren negative Rezeption er zu drehen versuchte, um „die Ehre der Mutter zu retten“.[18] Nicht außer Acht gelassen sei außerdem seine Straßenumbenennung 1812[19] und die Mitgestaltung des Friedhofs Melaten (Eingangstore, Grabdenkmäler, Inschriften) 1810.[20]
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Bei dieser Vielzahl an Aktivitäten war Wallraf keineswegs immer ‚pflegeleicht‘. Er korrespondierte mit Reiseschriftstellern wie Philipp Wilhelm Ger(c)ken, um eine „Korrektur der abfälligen Urteile über Köln in Reisebeschreibungen und ähnlichen Werken“ zu erwirken.[21] Zugleich wurde er - wie Jürgen Wilhelm betont – „nicht müde, die Rückständigkeit vieler Strukturen seiner Heimatstadt zu beklagen […]“ – „Dennoch bewegte er sich mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln und dank seines offenbar unendlichen Wissens- und Tatendrangs sowie der später ausgeprägten, zügellosen Sammelleidenschaften durchaus produktiv in den Wogen der städtischen Gesellschaft. […] Man würde ihn heute als begnadeten Netzwerker bezeichnen, der durch harte Arbeit und persönliche Kontakte mehr erreichte, als dies die meisten in seinem Umfeld vermochten.“[22] Zusätzlich wird immer wieder betont, dass Wallraf auch über seine Schüler positiv auf die Entwicklung Kölns eingewirkt habe.[23]
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Wichtig ist dabei zu sehen, dass Wallraf nicht einfach ungebrochen als Held der Stadt schalten und walten konnte – sondern im Gegenteil häufig auf Widerstand stieß: Smets deutet das an mehreren Stellen an, zum Beispiel hier gemünzt auf Wallrafs Aktivitäten ab 1800: „Gerade im Anfange des neuen Jahrhunderts [gemeint ist natürlich das 19., Anm. S. Sch.] begann auch diese allumfassende, nicht zu ermüdende Thätigkeit Wallraf’s, die weder durch Opfer, noch durch Hindernisse oder Neid und Feindseligkeit sich hemmen ließ, die ihm eigen blieb bis wenige Wochen vor seinem Tode.“[24] Doch nicht nur persönliche Animositäten erschwerten Wallrafs Bemühungen – in Köln hatten offenbar auch mächtige Einflusspersonen Schwierigkeiten, sich eine blühende Zukunft für die Stadt vorzustellen. Besonders anschaulich illustriert das ein Brief des Bürgermeisters Johann Friedrich Franz von Beyweg von 1789, der die seither allzu gern zitierte Formulierung wählte, ihm sei „leider ! durch die betrübte Erfahrnis bekennt, dass gute Plane zu Cölln unausführlich sind.“[25] Klaus Pabst bezeichnet 1988 diese Formel für Köln als „fast zeitlos“, Beyweg habe sie gegenüber Wallraf tröstlich verwendet.[26] Diese Einschätzung wird nachvollziehbar vor dem Eindruck vieler Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts, Köln habe sich in eine Sackgasse der Stadtentwicklung manövriert. Hintergrund des Statements Beywegs waren unter anderem die Erfahrungen gescheiterter Reformen, wie etwa im sog. „Toleranzstreit“[27], in dem vergeblich versucht wurde, den Protestant*innen die Erlaubnis zu erstreiten, in Köln ihrer Konfession offen nachzugehen – unmittelbar am Vorabend der Französischen Revolution! Gute Pläne also generell unausführbar? Eine tröstliche Einsicht, dass man in der Stadt ohnehin nichts machen kann? Es ist das zentrale Element im Image Wallrafs, ihn als eine Figur zu betrachten, die nicht bereit war, sich diesem Verdikt – in Köln lässt sich sowieso nichts machen – anzuschließen, sondern im Gegenteil bis ins hohe Alter regelmäßig alle Hebel in Bewegung zu setzen, um in Köln etwas zum Besseren zu verändern.
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Schauen wir uns davon ausgehend doch einmal die heutigen Köln-Bilder an: Über Köln wird viel gesprochen – und zwar sehr gern in Köln selbst. Nicht nur zur Karnevalszeit, auch wenn es dann naturgemäß zu einer Häufung kommt, spielen beispielsweise die vielen Lieder kölscher Bands eine zentrale Rolle in der städtischen Kultur, in denen Kölle „e Jeföhl“ ist, eine „Stadt met Hätz un Siel“ (Höhner) und Menschen sich identifizieren mit dem „kölschen Jung“ (Willy Millowitsch, Brings), dem Zusammenhalt „en unserem Veedel“ (Bläck Fööss) oder für die es als „Lokalpatriot*innen“ „kei Wood“ gibt, „dat sage künnt, wat ich föhl, wenn ich an Kölle denk“ (Cat Ballou) und die gern aus der „Stadt met ‚K‘“ (Kasalla) kommen – die Beispiele sind Legion. Dieser zur Schau getragenen Selbstliebe, die oft unter dem Schlagwort der ‚Selbstbesoffenheit‘ angeprangert wird, wird gern ein kritischer Blick von außen gegenübergestellt, in dem Köln ganz im Gegenteil sehr negativ wahrgenommen wird: „Köln ist ein Phänomen. Es gibt wohl kaum eine Stadt in Deutschland, in der Selbst- und Fremdwahrnehmung so auseinanderlaufen wie eben in Köln. Doch: Woher rührt diese Diskrepanz? War das schon immer so? Ist das noch so? Und, vor allem: Wie geht man, wie geht Köln, damit um?“ Diese Fragen stellt zum Beispiel Moritz Küpper in einem ausführlichen Beitrag im Deutschlandfunk von 2016.[28] Auch Werner Jung stellt in einem stadtgeschichtlichen Überblicksbeitrag „das in Mode gekommene Köln-Bashing“ der „selbstverklärende[n] und beschönigende[n] Ansicht der Einheimischen“ entgegen.[29]
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Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Stadt in der Außenperspektive oft negativ erscheint. „Die Liste der Possen ist lang“, schreibt zum Beispiel Johannes Novy 2023 in der taz und hält fest, „dass in Sachen Stadtentwicklung eine Dauerkrise herrscht“: „Was auch immer man von der Stadt samt ihrem gleichermaßen typischen wie hinderlichen Hang zur Selbstgefälligkeit halten mag. Diese Stadtpolitik haben die Kölnerinnen und Kölner nicht verdient.“[30] Schlagworte wie ‚Kölscher Klüngel‘[31], eine als problematisch empfundene städtische Infrastruktur, sich verzögernde Bauvorhaben gerade im kulturellen Bereich (Oper, Erweiterungsbau des Wallraf-Richartz-Museums & Fondation Corboud, Wasserschäden im Kölnischen Stadtmuseum, Sanierungsfall Römisch-Germanisches Museum und das Implodieren der Historischen Mitte), die sprichwörtlich gewordene ‚Kölner Silvesternacht‘ 2015 mit massiven sexuellen Übergriffen in der Umgebung des Kölner Hauptbahnhofs bzw. des Doms[32] und nicht zuletzt der dramatische Einsturz des Kölner Stadtarchivs 2009[33] mögen die Reihe an unglücklichen Ereignissen und Entwicklungen illustrieren, die dazu beigetragen haben, dass der Blick auf Köln von außen regelmäßig sehr negativ ausfällt.[34]
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Die Differenz zwischen positiver Selbst- und negativer Fremdwahrnehmung ist aber nur eine Facette der konfligierenden Köln-Wahrnehmung. Betrachtet man hier nur einen Unterschied zwischen Innen- und Außenperspektive, entgeht einem ein Sachverhalt, der das ganze verkompliziert – nämlich, dass es bei Lichte besehen in Köln selbst eine stark auseinanderklaffende Ambivalenz zweier Extrempositionen gibt: Der Beitrag im Deutschlandfunk nennt es den „kölschen Spagat zwischen Selbstüberzeugung und Selbstkritik“.[35] Matthias Hamann, seit 2024 Direktor des Kölnischen Stadtmuseums, dessen neue Dauerausstellung im selben Jahr eröffnet wird, nennt es im Podcast-Interview zum Amtsantritt[36] eine „Hassliebe“ zur eigenen Stadt, die irritierenderweise neben die „Köln-Besoffenheit“ trete: „Es wird viel geschimpft, gemeckert und dann wieder miteinander geschwärmt.“ Tatsächlich wird man im Kölner Alltag häufig den Eindruck nicht los, dass die gern zur Schau getragene Liebe zu Köln allzu schnell einer tiefsitzenden Resignation weicht – dem Gefühl, dass in der Stadtentwicklung keine Fortschritte gemacht werden können und dass ständig langfristig-strukturelle oder akute Probleme den Bewohner*innen der Stadt das Leben schwermachen – das Motto „Kölle alaaf“ wird dann höchstens ironisiert zur Schau gestellt oder als die Losung unverbesserlicher Jecken diffamiert.
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Johannes Novy sieht sogar in den elf Lebensweisheiten und Mantras des sogenannten ‚kölnischen Grundgesetzes‘[37] ein unterschwelliges Anzeichen dieser Resignation – und macht die Kölner*innen auf dieser Grundlage zum Teil mitverantwortlich: „Proteste, so sie denn stattfinden, vermögen in der Regel nicht in dem Maße zu mobilisieren, wie man es angesichts der Anzahl und des Ausmaßes stadtpolitischer Versäumnisse erwarten könnte (und wie es in anderen Städten der Fall ist), und es ist etwas dran an der Beobachtung, dass man dazu neigt, sich zu arrangieren, getreu dem Motto ‚Et es wie et es‘, ‚Et kütt wie et kütt‘, ‚Wat wells de maache?‘ Der Fatalismus und Zweckoptimismus, der aus diesen rheinländischen Lebensweisheiten spricht, mag helfen, den alltäglichen Wahnsinn in Köln zu ertragen. Sie könnten aber auch mit ein Grund dafür sein, dass sich besagter Wahnsinn als so beständig erweist.“[38] Auch Matthias Hamann gibt im Interview[39] an, dass das ein Aspekt sei, der ihn an Köln regelrecht „wütend“ mache: „Das ist diese Fokussierung auf sich selbst. Das kann dazu führen, dass man in der Mittelmäßigkeit stecken bleibt. […] Die Kölner*innen haben eine große Geschichte, machen sich diese allerdings selten bewusst. […] Köln macht sich oft kleiner, als es sein müsste. Je weiter man sich von Köln entfernt, umso größer wird es.“[40]
[1] Deeters, Joachim, Ferdinand Franz Wallraf. Ausstellung des Historischen Archivs der Stadt Köln, Severinstraße 222–228, 5. Dezember 1974 bis 31. Januar 1975, Köln 1974, S. 96.
[2] Historisches Archiv mit Rheinischem Bildarchiv, Best. 1105 (Ferdinand Franz Wallraf), A 27 (Letztwillige Verfügungen), fol. 10r–24r, hier: fol. 12v.
[3] Kölnische Zeitung, Nr. 120 vom 29. Juli 1823.
[4] Smets, Wilhelm, Ferdinand Franz Wallraf, Ein biographisch-panegyrischer Entwurf, Köln 1825, S. 28.
[5] Ebd., S. 28f. Vgl. ebd., S. 54, wo Smets ebenfalls – mit Blick auf Wallrafs Straßenumbenennung und nach einer kritischen Einschätzung – den Schluss unterstreicht: „[…] Wallrafs Bestreben war hier, wie überall, nur auf den Ruhm der Vaterstadt gerichtet.“
[6] Vgl. ebd., S. 43f.: „Hier mag es nun eben der Ort seyn, davon Erwähnung zu thun, daß Wallraf’s größte Tugend auch häufig vielleicht sein größter Fehler wurde. Was sich nicht nach Köln nannte, was nicht aus Köln hervorgegangen war, galt ihm immer um Vieles weniger, als es in Wahrheit werth war, und von dieser Einseitigkeit war er oft so befangen, daß er das Mittelmäßige als klassische Leistung und die Copie zum Originale erhob; selbst gab es für ihn solche Augenblicke, wo er das fremde Verdienst, nicht ohne Bitterkeit, ganz unbeachtet ließ, da ihn ein übelverstandener Patriotismus oft jedes billige Urtheil vergessen machte.“
[7] Westfehling, Uwe (Bearb.), Der erste Kölner Stadtführer aus dem Jahre 1828, Köln 1982, S. 169.
[8] Ennen, Leonard, Zeitbilder aus der neueren Geschichte der Stadt Köln, mit besonderer Rücksicht auf Ferdinand Franz Wallraf, Köln 1857, S. 259f. u. 261.
[9] Ennen, Leonard, Vorwort, in: Richartz, Johann Heinrich (Hrsg.), Ausgewählte Schriften von Ferdinand Wallraf. Herausgegeben im Auftrage und auf Kosten des königlichen Commercienrathes Joh. Heinr. Richartz. Festgabe zur Einweihungs-Feier des Museums Wallraf-Richartz, Köln 1861, S. III–XXX 7, hier: S. XIVf.: „Vor der großen deutschen Erhebung gingen seine patriotischen Gefühle nicht über die Mauern seiner Vaterstadt hinaus. Deutsche Vaterlandsliebe war ihm ein schöner Name aus längst verschollenen Zeiten. Er hatte kein Vaterland kennen gelernt, daß einer hohen Sympathie und einer feurigen Begeisterung werth gewesen wäre. Im Leben und Wesen des deutschen Reichskörpers war noch kein Moment zu Tage getreten, worauf ein deutscher Mann mit Stolz hätte hinschauen können. Einheit, Freiheit, Kraft und Macht des deutschen Reiches waren leere Redensarten, mit denen man nicht vermochte, einen Mann, der nur auf die Hebung seiner besonderen Heimat sann, aus seinem beschränkten Streben zu höheren Ideen empor zu heben. Darum wurde Wallraf’s ganze Begeisterung einzig und allein seiner Vaterstadt gewidmet.“
[10] Ennen, Zeitbilder (wie Anm. 8), S. 281. Die klar im nationalistischen Kontext des 19. Jahrhunderts zu verortende Passage sei hier vollständig zitiert: „Mit Recht konnte Wallraf befürchten, daß der Hauch der neuen Zeit und der Hochmuth des windigen Franzosenthums, wie das bürgerliche Leben, so auch das ganze geistige Wesen der Stadt Köln des echten kölner Original-Charakters entkleiden werde. Der Erzbürger Wallraf mit seiner warmen Liebe für das scharf markirte Kölnerthum trat muthig gegen diese Gefahr in die Schranken. An der Spitze und mit der Beihülfe mehrerer jungen, rüstigen Kräfte regte er in der Stadt Köln ein geistiges Streben an, welches allen nivellirenden fremdländischen Einflüssen trotzte und auf vaterstädtischer Grundlage ein national-kölnisches Leben weckte.“ Es handelt sich um eine der seltenen Stellen, an denen Ennen den Titel ‚Erzbürger‘ überhaupt benutzt. In seinem 400-seitigen Werk taucht der Titel nur viermal auf. Im Vorwort zu Wallrafs Schriften von 1861 fehlt er ganz, vgl. Ennen, Vorwort (wie Anm. 9).
[11] Kaninski, Benedikt, „Liebe deine Stadt“: Schriftzug zurück in Kölner Innenstadt, in: wdr.de (4.9.2023), URL: https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/liebe-deine-stadt-schriftzug-zurueck-in-koeln-100.html (letztes Abrufdatum: 28.2.2024).
[12] Smets, Wallraf (wie Anm. 4), S. 77.
[13] Ebd., S. 77, Fußnote. Vgl. dazu ausführlich Hilgers, Heribert A., Alaaf! Ein Kölner Hochruf, Köln 2014.
[14] „Nach vollbrachter heiliger Handlung zeigte sich sein Gemüth so heiter und aufgeregt, daß die Umstehenden zu einander sagten: sieh! das ist in Wahrheit noch einmal ganz unser Wallraf! Jubelnd brachte er die Gesundheit aus: Alaf Köln! – Aber leider war dieses seine letzte Aeußerung von Freude, das letzte Aufstreben seines Geistes in der irdischen Hülle. Am folgenden Tage waren seine Kräfte wieder sehr herabgesunken und sanken allmählig immer mehr, bis am 18. März, Morgens ein Viertel nach 1 Uhr, sein Geist das Irdische verließ.“ Smets, Wallraf (wie Anm. 4), S. 83.
[15] Vgl. dazu ausführlich Hilgers, Alaaf! (wie Anm. 12), S. 17–19 und Kuhl, Josef, Alaaf Köln. Ein Beitrag zur Geschichte des Kölner Volkslebens, Köln 1905. Kuhl stellt dar, dass Wallraf 1817 dem preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm IV. bei dessen Besuch in Köln die Wendung „Alaaf Köln“ nahegebracht und ihn dazu angeregt hätte, sie öffentlich zu benutzen: „Es [gemeint ist hier: das Alaaf, Anm. S. Sch.] hatte aber auch in der Kölner Bürgerschaft selbst schon einen mächtigen, hochangesehenen Beschützer gefunden. Das war der edle Ferdinand Wallraf (geb. 20. Juli 1748 zu Köln, gest. daselbst 18. März 1824), weiland Professor an der Kölner Universität, der tüchtige Kenner aller Kunst und Wissenschaft, der fleißige Sammler von Altertümern und Kunstschätzen, der hochherzige Mann, der seiner Vaterstadt, für deren Glanz er begeistert war, seine Sammlungen zum Geschenk machte und damit den Grund legte zu dem städtischen Museum Wallraf-Richartz. Wallraf hatte 1817 bei dem Feste die Führerschaft beim Kronprinzen übernommen; er hat diesem auch Alaaf erklärt, so wie er es verstand: Alles lobt Köln […]. Wallraf war es, der Alaaf bei der Kölner Bürgerschaft so recht in Schwung brachte, sozusagen der geistige Vater dieses Kölner Wahrzeichens. […] Jetzt war ihm die Bahn geöffnet, nicht nur für ‚lange Zeit‘, sondern für alle Zeit; Alaaf wird nicht untergehen, solange Köln steht. Nachdem es wiederholt bei feierlicher Gelegenheit aus fürstlichem Munde erklungen und Wallraf, der gefeierte ‚Erzbürger‘ Kölns, es seinen Mitbürgern so warm ans Herz gelegt, wächst sein Ansehen von Jahr zu Jahr: kein Volksfest, keine Kirmes, kein Karneval ohne Alaaf Köln; wo etwas zum Lobe Kölns geredet oder geschrieben wird, da ist das letzte Wort: Alaaf Köln!“ Ebd., S. 29f. Kuhls Text ist als Zeitungsbeitrag auch in der Zeitungsausschnittsammlung der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln überliefert und digital abrufbar: ZTGSLG, II.68,71ff., Link.
[16] Vgl. dazu Schlinkheider, Sebastian, „Zwillingsschwestern unter verändertem Namen“ – Ferdinand Franz Wallrafs (1748–1824) Bemühungen um eine integrative Verbindung von Naturgeschichte und Ästhetik in Köln, in: Kittelmann, Jana (Hrsg.), Botanik und Ästhetik: Internationales Symposium, Halle an der Saale, 14.–16. September 2017, Göttingen 2018 (= Annals of the History and Philosophy of Biology, 22) [Volltext hier abrufbar], S. 79–94.
[17] Vgl. dazu das vollständige „Verzeichnis der Veröffentlichungen Wallrafs 1775–1984“: Deeters, Joachim, Der Nachlass Ferdinand Franz Wallraf (Best. 1105), Köln / Wien 1987 (= Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln, Bd. 71), S. 361–377. In seinem bis heute in Sachen Wallraf maßgeblichen Ausstellungskatalog geht Deeters auf die Denkschriften und sonstigen stadtpolitischen Aktivitäten Wallrafs ausführlich ein: Deeters, Ausstellung (wie Anm. 1). Vgl. auch die erläuternden Beiträge der Wallraf-Spurensuche: Gersmann, Gudrun / Grohé, Stefan (Hrsg.), Ferdinand Franz Wallraf (1748–1824) – Eine Spurensuche in Köln, mapublishing (2016), URL: https://wallraf.mapublishing-lab.uni-koeln.de/ (letztes Abrufdatum: 28.2.2024). Eine Reihe der Denkschriften Wallrafs wurde 1861 anlässlich der Eröffnung des Wallraf-Richartz-Museums in einer Sammelschrift veröffentlicht: Richartz, Johann Heinrich (Hrsg.), Ausgewählte Schriften von Ferdinand Wallraf. Herausgegeben im Auftrage und auf Kosten des königlichen Commercienrathes Joh. Heinr. Richartz. Festgabe zur Einweihungs-Feier des Museums Wallraf-Richartz, Köln 1861. Viele der von Wallraf publizierten Schriften sind auch als Digitalisate online abrufbar, etwa im Kölner Universitätskatalog (KUK) der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln. Hier ist eine entsprechende Suchabfrage für den Zeitraum 1770 bis 1824 verlinkt.
[18] Vgl. Kramp, Mario, Köln und seine Agrippina. Vom Monstrum zur Mutter. Zum 2000. Geburtstag der römischen Kaiserin, Köln 2015, S. 102–117.
[19] Vgl. ausführlich dazu: Skowronek, Vanessa, Ferdinand Franz Wallraf als Stadtreformer. Strategien und Konflikte, Masterarbeit Universität zu Köln, URL: https://kups.ub.uni-koeln.de/8107/, Köln 2017 (letztes Abrufdatum am: 9.1.2024).
[20] Vgl. Ennen, Zeitbilder (wie Anm. 8), S. 222.
[21] Deeters, Ausstellung (wie Anm. 1), S. 27f.
[22] Wilhelm, Jürgen, Nachwort, in: Müller, Klaus, Ferdinand Franz Wallraf. Gelehrter, Sammler, Kölner Ehrenbürger, Köln 2017, S. 116–118, hier: S. 117.
[23] „Seltener Fall, der doch auch zuweilen gute Früchte bringt – wo die Tugend zur Leidenschaft wird! – Und eine solche Frucht war wirklich das Bestreben, welches schon von der frühesten Jünglingszeit an in manchen vorzüglichen Talenten der Stadt Köln um jene Zeit sich regte, den Ruhm der Vaterstadt zu erhöhen und sich ganz, mit allen Kräften, um den Preis der Bürgerkrone zu bemühen. Da war es Wallraf, der zu solchem Entschlusse den ersten brennenden Zunder in die Gemüther warf, und unter den ausgezeichneten Geistern, die rasch aufeinander aus dieser Schule hervorgingen, braucht man nur der ungewöhnlichen Menschen, des Ubio-Rubiers Gau, der Maler Hoffmann und Begasse, des Architekten Hittorf und des Naturforschers Cassel zu gedenken.“ Smets, Wallraf (wie Anm. 4), S. 44f. Vgl. ausführlicher zu Wallrafs Schülern: Nebelung, Alexandra, Ferdinand Franz Wallraf und sein Kreis. Masterarbeit Universität zu Köln, URL: https://kups.ub.uni-koeln.de/8094/, Köln 2017 (letztes Abrufdatum: 9.1.2024).
[24] Smets, Wallraf (wie Anm. 4), S. 40.
[25] Historisches Archiv mit Rheinischem Bildarchiv, Best. 1105 (Ferdinand Franz Wallraf), A1 (Korrespondenz), fol. 170, vgl. Deeters, Ausstellung (wie Anm. 1), S. 35.
[26] Pabst, Klaus, Franz Ferdinand [sic] Wallraf. Opportunist oder Kölner Lokalpatriot?, in: Geschichte in Köln 24 (1988), S. 159–177, hier: S. 165.
[27] Vgl. zum 18. Jahrhundert in Köln ausführlich: Schwerhoff, Gerd, Köln im Ancien Régime. 1686–1794, Köln 2017. Zum „Toleranzstreit“ vgl. bes. ebd., S. 398–416.
[28] Küpper, Moritz, Kontrastmittel Köln. Eine Stadt mit widersprüchlichem Image, in: Deutschlandfunk Kultur Online (12.7.2016), URL: https://www.deutschlandfunkkultur.de/kontrastmittel-koeln-eine-stadt-mit-widerspruechlichem-image-100.html (letztes Abrufdatum: 28.2.2024).
[29] Jung, Werner, Eine ganz normale Stadt. Ein Blick in die Kölner Geschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ) 67 (2017), Heft „Köln“, 1–3/2017, S. 31–38, hier: S. 31.
[30] Novy, Johannes, Stadtentwicklung in Köln. Die Liste der Possen ist lang, in: taz online (3.1.2023), URL: https://taz.de/Stadtentwicklung-in-Koeln/!5905636/ (letztes Abrufdatum: 28.2.2024).
[31] Vgl. Überall, Frank, Der Klüngel in der politischen Kultur Kölns, Bonn 2007 und Feldhoff, Norbert, Kölscher Klüngel. Gestern, heute, morgen und überall, Köln 1996.
[32] Werthschulte, Christian, „Nach“ Köln ist wie „vor“ Köln. Die Silvesternacht und ihre Folgen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ) 67 (2017), Heft „Köln“, 1–3/2017, S. 10–17.
[33] O. A., Das Unglück von Köln. „Gedächtnis der Stadt“ ausgelöscht, in: Stern online (3.3.2009), URL: https://www.stern.de/panorama/weltgeschehen/das-unglueck-von-koeln--gedaechtnis-der-stadt--ausgeloescht-3427730.html (letztes Abrufdatum: 28.2.2024).
[34] Vgl. etwa die erratische Aufzählung: „Trümmerwüste, Köln, Klüngel, Köln, Katastrophe, Köln U-Bahn-Bau, erst Kostenexplosion auf inzwischen eine Milliarde Euro und jetzt – unbezahlbar – zwei Tote und eine zerstörte Stadtgeschichte.“ und den Kommentar dazu: „Dabei ließe sich diese Liste der städtischen Katastrophen beliebig fortsetzen: falsche Auszählung der Wählerstimmen, verschobene Kommunalwahl wegen fehlerhafter Stimmzettel, Attentat auf die Oberbürgermeisterin, Dauerbaustelle Oper.“ Küpper, Moritz, Kontrastmittel Köln. (wie Anm. 28).
[35] Ebd.
[36] Bischoff, Michael, „Sie ist nicht elegant, aber ich bin dieser Stadt verfallen.“. Direktor Matthias Hamann über Köln, Gefühle, Pläne und Hoffnungen, in: koelnisches-stadtmuseum.de (o. D.), URL: https://www.koelnisches-stadtmuseum.de/ich-bin-dieser-stadt-verfallen-sie-ist-nicht-elegant-doch-wenn-man-wieder-genauer-hinguckt-entdeckt-man-die-schaetze/ (letztes Abrufdatum: 28.2.2024), vgl. dazu das Audio-Interview: Köln erzählen. Der Podcast des Kölnischen Stadtmuseums, Folge #6: Im Gespräch mit dem Direktor (Dr. Matthias Hamann), 12. Januar 2024, URL: https://koelnischesstadtmuseum.podigee.io/6-new-episode (letztes Abrufdatum: 28.2.2024).
[37] O. A., 11 ungeschriebene Regeln. Das Kölsche Grundgesetz, in: Portal koeln.de (o. D.), URL: https://www.koeln.de/koeln/das-koelsche-grundgesetz-die-11-regeln-der-domstadt_1121331.html (letztes Abrufdatum: 28.2.2024).
[38] Novy, Stadtentwicklung (wie Anm. 30), Hervorhebung S. Sch.
[39] Bischoff, Direktor Matthias Hamann (wie Anm. 36).
[40] Ebd.